Covid-19 und die Pflege

Helmut ist ein Kunde und Freund von mir. Meistens unterhalten wir uns über Fotografie, den Gossip Talk der Szene, oder einfach nur, was uns gerade so beschäftigt. Fotografie ist für uns beide ein enorm wichtiges Thema und so sprechen wir hin und wieder sehr ausgiebig darüber. Als er mich vor ein paar Tagen anrief, war mir aber klar, dass es diesmal ein anderes Thema werden würde. Helmut trägt die Verantwortung über einen Pflegedienst und kommt seit 2 Wochen nicht mehr zur Ruhe. Seit Januar sind die Verbrauchsmaterialen vergriffen, die notwendig sind, um Patienten und Mitarbeiter zu schützen und die Risiken jeglicher Infektionen auf ein Minimum zu reduzieren.

Helmut ruft gerade einige Leute an und rüttelt an jedem Ast, um zu sehen, ob nicht etwas Desinfektionsmittel, oder eine Atemschutzmaske herunterfällt. Man merkt, sein Geist kann gerade nicht abschalten. Ständig kommt er auf Ideen und versucht alle mit einzubeziehen. Als ich fragte, was ich tun kann, sagte er, schnapp dir die Kamera und werd mal wieder Bildjournalist, aber vorher guckst du mal deine Kontaktliste durch und überlegst, wen du kennst, der helfen kann, Masken und Desinfektionsmittel zu organisieren, oder besser noch zu produzieren. Helmut kennt viele Leute und ist regional gut vernetzt. Warum soll nur Trigema Masken produzieren? Jeder Textilhersteller kann das tun und so versucht er nebenbei, während ich ihn fotografiere, ein anderes Unternehmen zu überreden, die Produktion auf Atemschutzmasken umzustellen.

Eine andere große Problematik sind gerade die Behörden. Krankenhäuser und Notaufnahmen sind sehr im Fokus. Für Mitarbeiter in der Pflege gibt es aktuell nur die Option sich privat testen zu lassen, wobei auch für sie regelmäßige Tests und schnell Ergebnisse wichtig sind, um ihre Prozesse am Laufen zu halten und nicht die Patienten zu produzieren, die dann die Notaufnahmen überlasten könnten. Bei Verdacht auf einen Kontakt mit dem Virus gilt aktuell die Weisung, dass 2 mal täglich Fieber zu messen ist und ein Tagebuch geführt werden soll, was täglich ans Gesundheitsamt gefaxt wird. Dort wertet das dann ein Mitarbeiter aus und entscheidet über ein weiteres Vorgehen. Die Arbeit und der Patientenkontakt soll weiterlaufen. Auch verbindliche Aussagen zu Lieferungen mit Verbrauchsmaterialien kommen sehr spät und sind ernüchternd. Es gibt nichts und diese Information erleichtert Helmut so gar etwas, denn nun weiß er, woran er ist.

Was bleibt, ist zu nutzen, was man hat und kein Risiko einzugehen. Freunde werden mal kurz und mit einigem Abstand besucht und auch meine Anwesenheit ist ein Risiko, was besonders reduziert werden muss. Ich trage eine der kostbaren Atemschutzmasken. Hätte ich nicht ein Paket frischer Masken mitbringen können, hätte ich wohl ein schlechtes Gewissen, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich gerade so viel beitragen kann, wie so eine banale Maske es kann.

Ich halte Abstand und Fotografieren ist nicht einfach. Mir fällt auf, wie wenig greifbar dieses Thema ist. Das Problem ist nicht sichtbar, nur die Auswirkungen sind es. Ich treffe an diesem Tag keinen Mitarbeiter, der Patientenkontakt hat.

Niemand darf ausfallen. Fällt ein Dominostein, ist das Spiel schnell vorbei und mir ist etwas komisch zumute. Mir geht es gut. Ich habe keinen Kontakt zu jemanden gehabt, der irgendwelche Symptome gezeigt hat und überhaupt, versuche ich gerade alles richtig zu machen, aber auch ich weiß nicht, was ich mit mir rumtrage. Mehr testen würde helfen. Das hört man auch von Experten immer häufiger. Distanz ist gut, aber wir müssen eigentlich wissen, wer verbreitet und wer ist safe.

Wie ich so meine Zeit mit Helmut verbringe, merke ich, wie sehr ihn das Thema bedrückt und wie gut es ihm tut, mal über Fotografie zu sprechen und jemanden zu treffen, der nicht seit zwei Wochen weiß, dass der nächste Tag vermutlich schwerer wird, als der letzte. Wir fahren zu seinem Haus. Helmut möchte mir etwas zeigen.

Mit Unterstützung von Freunden und Familie produziert man jetzt eigene Masken aus Baumwollstoffen und Moltontüchern. Den Eigenbedarf bekommt man so gedeckt. Man kann sie bei 90°C waschen und wiederverwenden. Wenn das Desinfektionsmittel ausgeht, nehmen wir Pennergold aus dem Aldi. Was wie ein Scherz klingt, ist ernst gemeint. Jägermeister hat gerade 50.000l Alkohol für diesen Zweck bereitgestellt.

Am Ende des Tages merke ich, dass ich gar nicht so viel fotografiert habe und besser Masken genäht hätte. Ich frage, was ich tun kann, um zu helfen. Helmut sagt, schreib es auf, erzähl es. Er rüttelt wieder an jedem Ast und als ich gehe, sehe ich noch 2 Motive, die gar nicht zum Thema passen, aber mich beruhigen, denn sie sind für mich irgendwie greifbarer und realer, stellen sie doch eine Welt dar, die ich kenne und gewohnt bin, zu beobachten.

Wenn ihr Desinfektionsmittel, oder Atemschutzmasken habt, die ihr aktuell nicht benötigt, ruft bei den Pflegediensten in eurer Region an und fragt, ob ihr ihnen damit aushelfen könnt. Es würde mich freuen.